Therapie
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Was ist bislang wissenschaftlich untersucht?
Wie finde ich Hilfe?
Das Wichtigste auf einen Blick:
- Dermatillomanie und Trichotillomanie sind anerkannte und behandelbare psychische Störungen.
- Im aktuell noch genutzten ICD-10 ist - im Gegensatz zum ebenfalls bereits gültigen (aber noch nicht genutzten) ICD-11 - keine eigenständige Diagnose für Dermatillomanie aufgeführt. Dennoch kann man sich behandeln lassen!
- Auch für pathologisches Nägelkauen, Wangenbeißen, Haareessen und weitere Störungen aus diesem Bereich gibt es keine eigenen Diagnosen. Bei entsprechendem Leidensdruck kann man aber auch hierfür professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
- Für die Behandlung der Störungen wird auf Basis der bisherigen Studien an erster Stelle die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) empfohlen.
- Vor dem Hintergrund der aktuellen Studienlage kann derzeit kein spezifisches Medikament uneingeschränkt zur Behandlung der Störungen empfohlen werden.
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Die KVT ist eins von vieren durch die Krankenkassen zugelassenen Verfahren zur Psychotherapie. Das bedeutet, dass die KVT von den Krankenkassen übernommen wird, sofern sie von approbierten Psychotherapeut*innen durchgeführt wird.
Bislang wurden in Bezug auf Dermatillomanie und Trichotillomanie fast ausschließlich Studien zu dieser Therapieform durchgeführt. Da viele der Studien auf die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Interventionen bei diesen Störungen hinweisen (s.u.), gilt die KVT aktuell als Methode der Wahl.
Generell herrscht hier aber auch noch großer Forschungsbedarf!
Ausführliche, allgemeine Informationen zur KVT finden sich an anderer Stelle (siehe Links).
Bei Derma- und Trichotillomanie umfasst die KVT u.a. folgende Elemente:
- Psychoedukation (Aufklärung über die Störung)
- Selbstbeobachtung, um Auslöser zu erkennen und verstehen
- Stimuluskontrolle (Auslöser reduzieren)
- Kognitive Interventionen (z.B. um bestimmte Gedanken wie "Ich kann sowieso nicht aufhören." zu verändern)
- Motivationsabklärung (Welche Vor- und Nachteile hat das Verhalten?)
- Rückfallprophylaxe
Als spezielle verhaltenstherapeutische Technik wird das sogenannte Habit Reversal Training (HRT) eingesetzt. Hier geht es in erster Linie darum, die eingeübten motorischen Gewohnheiten zu verändern. Dabei wird im ersten Schritt mehr Aufmerksamkeit für das Verhalten geschaffen (s.o. Selbstbeobachtung), um besser zu verstehen, unter welchen Umständen die Haut bearbeitet oder Haare ausgerissen werden und mehr Bewusstheit für das Verhalten zu schaffen. Im zweiten Schritt wird eine mit dem Verhalten nicht vereinbare Muskelreaktion eingeübt (z.B. Fäuste ballen, Finger spreizen). Diese soll dann immer ausgeführt werden, sobald sich der Drang zum Bearbeiten der Haut bzw. zum Haareausreißen einstellt.
Akzeptanz und Commitment Therapie (ACT)
Bei ACT handelt es sich nicht um ein eigenständiges, von den Krankenkassen zugelassenes Therapieverfahren. Einige Therapeut*innen haben jedoch eine Zusatzqualifikation in ACT erworben.
Bei ACT steht besonders im Fokus, bestimmte Erfahrungen und Gefühle zu akzeptieren und nicht zu vermeiden. Das Bearbeiten der Haut/Haareausreißen kann z.B. dazu dienen Anspannung zu reduzieren bzw. ein Versuch sein, diese zu vermeiden.
Es geht bei diesem Ansatz vor allem auch darum, akzeptierend mit belastenden Gefühlen und Erlebnissen umzugehen. Gleichzeitig wird auch ein Schwerpunkt darauf gelegt, das eigene Leben nach den persönlichen Werten und Zielen auszurichten.
In erste Studien zeigen sich für ACT bei Dermatillomanie und Trichotillomanie gute Ergebnisse - teilweise wurden allerdings Kombinationen aus verhaltenstherapeutischen Interventionen und ACT untersucht.
Für Trichotillomanie liegen insgesamt mehr bzw. bessere Studien zur Wirksamkeit von ACT vor als dies für Dermatillomanie der Fall ist.
Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT)
Bei der DBT handelt es sich ebenfalls nicht um ein eigenständiges, von den Krankenkassen zugelassenes Therapieverfahren. Viele Therapeut*innen haben allerdings eine DBT Weiterbildung absolviert!
Die DBT ist ein Therapieansatz, der ursprünglich für selbstverletzendes Verhalten entwickelt wurde. Hier stehen insbesondere die Themen Spannungs- und Emotionsregulation im Vordergrund, die auch für Dermatillomanie, Trichotillomanie und andere BFRBDs eine wichtige Rolle spielen.
Bislang berichtet eine Studie vielversprechende Ergebnisse für eine Kombination aus KVT und DBT bei Trichotillomanie (s.u. Keuthen et al., 2012). Weitere Studien stehen derzeit allerdings noch aus.
Weitere Hinweise
Weitere Therapieansätze (Krankenkasse)
Neben den oben beschriebenen Therapieansätzen gibt es natürlich noch weitere Möglichkeiten zur psychotherapeutischen Behandlung.
Neben der Verhaltenstherapie sind folgende weitere Therapieverfahren von den Krankenkassen als sogenannte Psychotherapie-Richtlinienverfahren zugelassen:
1. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
2. Psychoanalyse
3. Systemische Therapie
Zu diesen Therapieformen liegen bislang allerdings keine Studien zur Wirksamkeit bei BFRBs vor.
Allgemeine, ausführliche Informationen zu den verschiedenen Therapieverfahren und ihren Schwerpunkten und zur Frage "Wie finde ich den Weg in die Psychotherapie?" finden sich an anderer Stelle (siehe Links).
Weitere Therapieansätze (Privatzahler)
Neben den Richtlinienverfahren zur Psychotherapie werden noch viele andere Therapieansätze oder auch Coachings angeboten (z.B. Kunsttherapie, Körpertherapie, Hypnose), die dann auf eigene Kosten in Anspruch genommen werden können.
Wie sicher und gut die jeweiligen Angebote sind, muss im Einzelfall beurteilt werden. Die Seriosität und Qualität der Angebote sind sehr sehr unterschiedlich! Wenn man ein solches Angebot in Anspruch nehmen möchte, sollte man ein besonderes Augenmerk auf Transparenz hinsichtlich der Qualifikationen der Person legen: Welche Aus- und Weiterbildungen hat sie absolviert? In welchen Fachgesellschaften ist sie Mitglied? Inwiefern hat die Person Berufserfahrung in diesem Feld?
Je weniger Informationen zur Qualifikation, desto unseriöser!
Wichtig zu wissen:
Bislang liegen nur für die oben genannten Therapiemethoden (KVT (+HRT), DBT, ACT) Studien zur Wirksamkeit bei Dermatillomanie bzw. Trichotillomanie vor.
Geeignete Therapeut*innen
Aktuell findet man nur recht wenige Psychotherapeut*innen, die (z.B. auf ihrer Homepage) BFRBs explizit als Behandlungsschwerpunkt nennen - dies gilt insbesondere für Dermatillomanie, da diese Diagnose noch jünger ist als Trichotillomanie. Dermatillomanie ist leider noch recht unbekannt - oft auch bei Psychotherapeut*innen. Aber das Störungsbild bekommt immer mehr Aufmerksamkeit und immer mehr Therapeut*innen wissen Bescheid!
Für beide Störungsbilder ist es sinnvoll, nach Therapeut*innen zu schauen, die als Schwerpunkte "Dermatillomanie", "Trichotillomanie" oder auch "Zwangsstörungen und verwandte Störungen" angeben. Findet man in der Nähe niemanden mit diesen Schwerpunkten, der einen Termin anbieten kann - und das ist relativ wahrscheinlich - sollte man sich nicht entmutigen lassen.
Es ist natürlich von Vorteil, wenn schon ein gewisses Vorwissen zu Dermatillomanie bzw. Trichotillomanie vorliegt - generell geht es aber in der Psychotherapie auch viel darum, gemeinsam Lösung zu finden! Darüber hinaus sind viele Inhalte, Strategien und Übungen in der Psychotherapie auch über unterschiedliche Störungsbilder hinweg ähnlich.
Im persönlichen Erstgespräch (und den nachfolgenden Probesitzungen) bekommt man ein gutes Gefühl dafür, ob man mit dem/der Therapeut*in auf einer Wellenlänge liegt und sich eine Therapie dort vorstellen kann. Dieses Kriterium ist für die Wahl des/der Therapeut*in deutlich wichtiger, als ein spezifischer Schwerpunkt!
"Geht es mir schlecht genug?"
Oft kommt es vor, dass sich Betroffene unsicher sind, ob sie Hilfe (z.B. eine Psychotherapie) "verdienen" und sich fragen "Ist mein Problem denn wirklich schlimm genug? Geht es mir schlecht genug?". Dazu möchte ich sagen: Wenn man leidet und das Bedürfnis nach Unterstützung hat, dann darf (und sollte) man sich Hilfe suchen.
Egal, wie klein oder unwichtig Probleme von außen aussehen mögen, wenn man selbst das Bedürfnis nach Unterstützung und Hilfe hat, darf man das ruhig ernst nehmen. Niemand sonst steckt in Deinem Kopf und spürt, wie es Dir geht. Du weißt am besten, was Du brauchst.
Und wenn sich jemand fragt "Geht es mir schlecht genug, um Hilfe zu verdienen?", dann ist die Antwort eigentlich immer "Ja" - sonst würde man nicht darüber nachdenken.
Es ist außerdem immer besser, sich frühzeitig Hilfe zu holen. Völlig falsch ist zu denken, dass man erst dann ein Recht auf Hilfe hat, wenn "gar nichts mehr geht".
Also ja, wenn Du das Bedürfnis nach Unterstützung hast, zögere nicht danach zu fragen.
Du darfst Dich für Dich selbst einsetzen!
Literatur
Allgemein
Schumer, M. C., Bartley, C. A. & Bloch, M. H. (2016). Systematic review of pharmacological and behavioral treatments for skin picking disorder. Journal of Clinical Psychopharmacology, 36(2), 147-152.
McGuire, J., Ung, D., Selles, R. R., Rahman, O., Lewin, A. B., Murphy, T. K. & Storch, E. A. (2014). Treating trichotillomania: A meta-analysis of treatment effects and moderators for behavior therapy and serotonin reuptake inhibitors. Journal of Psychiatric Research, 58, 76-83.
KVT
Gallinat, C., Moessner, M., Haenssle, H. A., Winkler, J. K., Backenstrass, M. & Bauer, S. (2019b). An internet-based self-help intervention for skin picking (SaveMySkin): Pilot randomized controlled trial. Journal of Medical Internet Research, 21(9), e15011.
Moritz, S., Fricke, S., Treszl, A. & Wittekind, C., E. (2012). Do it yourself! Evaluation of self-help habit reversal training versus decoupling in pathological skin picking: A pilot study. Journal of Obsessive-Compulsive and Related Disorders, 1(1), 41-47.
Schuck, K., Keijsers, G. P. & Rinck, M. (2011). The effects of brief cognitive-behaviour therapy for pathological skin picking: A randomized comparison to wait-list control. Behaviour Research and Therapy, 49(1), 11-17.
Teng, E. J., Woods, D., W. & Twohig, M. P. (2006). Habit reversal as a treatment for chronic skin picking. Behavior Modification, 30(4), 411-422.
DBT
Keuthen, N. J., Rothbaum, B. O., Fama, J., Altenburger, E., Falkenstein, M. J., Sprich, S. E., et al., (2012). DBT-enhanced Cognitive-Behavioral Treatment for Trichotillomania: A Randomized Controlled Trial. Journal of Behavioral Addicitions, 1(3):106-14. doi: 10.1556/JBA.1.2012.003.
ACT
Capriotti, M. R., Ely, L. J., Snorrason, I. & Woods, D. W. (2015). Acceptance-enhanced behavior therapy for excoriation (skin-picking) disorder in adults: A clinical case series. Cognitive and Behavioral Practice, 22, 230-239.
Flessner, C. A., Busch, A. M., Heidemann, P. W. & Woods, D. W. (2008). Acceptance-enhanced behavior therapy (AEBT) for trichotillomania and chronic skin picking. Exploring the effects of component sequencing. Behavior Modification, 32(5), 579-594.
Lee, E. B., Homan, K. J., Morrison, K. L., Ong, C. W., Levin, M. E., & Twohig, M. P. (2020). Acceptance and Commitment Therapy for trichotillomania: A randomized controlled trial of adults and adolescents. Behavior Modification, 44(1), 70-91.
Tellefsen Haaland, A., Eskeland, S. O., Moen, E. M., Vogel, P. A., Haseth, S.,Mellingen, K., et al. (2017). ACT-enhanced behavior therapy in group format for Trichotillomania: An effectiveness study. Journal of Obsessive-Compulsive and Related Disorders, 12, 109-116.
Twohig, M., P., Hayes, S., C. & Masuda, A. (2006). A preliminary investigation of acceptance and commitment therapy as a treatment for chronic skin picking. Behaviour Research and Therapy, 44(10), 1513-1522.